Die vierzigjährige Französisch- und Kunstlehrerin Tanja ist mit Philipp verheiratet, einem Historiker und Dozenten. Im Laufe ihrer akademischen Laufbahn haben beide einen Kokon um sich und ihre Ehe geschaffen, in der Tanja sich zwar nicht unwohl fühlt, aber auch beginnt sich zu fragen, ob das schon alles war. Als sie an einem stressigen Morgen vor Ostern den Unternehmer Mario Desantis kennenlernt, ahnt sie noch nicht, welch tiefgreifende Veränderungen der Mann in ihrem Leben auslösen wird. Sowohl sie als auch Desantis, fangen füreinander Feuer. Mario ist ein Lebemann und ein Macher, ein Reisender und ein Suchender; in seinem energischen Eifer stellt er Tanja vor eine Wahl, die ihr gesamtes bisheriges Leben völlig auf den Kopf stellt. Sie lässt alles hinter sich und begleitet ihn – nach Amsterdam, dann an die Côte d'Azur, wo sie aufblüht und zu sich selbst findet. Doch Mario hat eine große Familie und große Pläne, und Tanja beginnt im Strudel der Ereignisse zu realisieren was sie wirklich möchte.
Liebesroman
444 Seiten / Paperback
ISBN: 9783734706516
Verlag: Books on Demand
Sprache: Deutsch
Taschenbuch: 18,- €
eBook: 4,99 €
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…
Am Tag darauf war ich wild entschlossen Mario zu vergessen. Sobald er in meinem Kopf auftauchte, sagte ich in Gedanken Stopp! und dachte unter Zwang an etwas anderes; an den Einkaufszettel, an die nächste Klausur, die ich für die 7b vorbereitete, an die alte Nachbarin aus dem ersten Stock, die gerade ihren Fernseher wieder so laut aufdrehte, dass die Scheiben wackelten. Ich dachte an den kleinen weißen Hund des Nachbarn aus dem dritten Stock, der draußen immer gegen die Hausecke pieselte, an den Stapel von Philipps Hemden, die ich seit drei Wochen mir vornahm zu bügeln … und an Mario Desantis, der einfach nicht aus meinem Kopf verschwinden wollte. Ja, wenn es nur mein Kopf gewesen wäre … er war überall, in jeder Hautfalte, jeder Ritze, jeder Pore, jedem Knöchelchen und jedem Blutplättchen. Alles an und in mir vibrierte vor Verlangen nach Mario Desantis, ich glühte regelrecht vor fiebriger Sehnsucht nach seinem Duft, seiner Körperwärme, seiner Berührung – einfach allem. Es machte mich verrückt, unglücklich und verzweifelt zugleich, während ich den Mann in meiner Fantasie in himmlische Sphären hob, obwohl ich eigentlich wusste, dass das absurd und lediglich eine imaginäre Spinnerei war. Die Mechanismen, die eine verliebte Person in den Wahnsinn treiben, waren mir in ihrer rational verstandenen Irrationalität nicht unbekannt. Der Mann war bei Weitem nicht so perfekt und toll und erstrebenswert, wie meine verrücktspielenden Hormone mir weißzumachen versuchten, und dennoch verzehrte sich mein Körper derart nach ihm, dass ich dachte den Verstand zu verlieren.
„Und wo wohnst du
nun?“
Er lachte, nickte, als hätte ich
ihn dabei ertappt etwas zu verheimlichen.
„In Èze, das liegt an der Côte
d'Azur.“
„So …“
Ich versuchte mir sein Zuhause
vorzustellen, fragte mich, wann ich es wohl zum ersten Mal
sehen würde, ob wir dort lange bleiben würden, ob er vorhatte
mich auf all seinen geschäftlichen Reisen mitzunehmen oder ich
in seinem Haus … oder Wohnung bleiben sollte, damit er stets in
offene Arme zurückkehren konnte.
Ich atmete tief durch,
fokussierte meinen inneren und äußeren Blick jetzt auf das
riesige Straßenschild, das auf den vor uns liegenden Flughafen
hinwies, spürte wieder den sich verkrampfenden Magen in meinem
Bauch. In dieser Blase aus Marios besänftigender Anwesenheit,
unserer Plauderei und dem warmen Innenraum des Wagens, fühlte
ich mich einigermaßen geborgen, doch sobald meine Gedanken auch
nur annähernd zu der Tatsache zurückkehrten, dass ich im
Begriff war mein komplettes, bisheriges Leben hinter mir zu
lassen, spürte ich das Kribbeln der Panik in mir
aufsteigen.
In Filmen und in Büchern sah das
immer so einfach aus. Die Leute liefen davon, ließen alles
hinter sich und hatten dabei befreite und glückselige
Gesichter, stürzten sich ins Leben hinein und erlebten ein
Abenteuer nach dem anderen. Mir war jetzt klar, dass das
absoluter Bullshit war. Es waren einfach nur seichte kleine
Geschichten, um Leute wie Philipp und mich vor der Glotze zu
unterhalten, um uns wieder in unser kleines, mickriges Leben zu
entlassen, wenn der Film vorbei war. Dieser ganze Zuckerkram
und das Aitaitai hatten absolut nichts mit der Realität zu tun,
mit der Achterbahnfahrt der Gefühle und den Ängsten, die man
versuchte irgendwie zu kompensieren.
Ich musste in meinem geblümten Rock, Marios Pullover und Medeas Ballerinas ein ziemlich groteskes Bild abgeben, fühlte mich wie eine dicke Frau, zwischen all den Zwanzigjährigen, mit ihren Körpern, die denen von Zwölfjährigen glichen. Die Musik wummerte mir mit zu lauten Bässen die Ohren weg und ich registrierte nervös die Logos der Marken, die auf Displays und Wänden angebracht waren; Burberry, Chloé, MaxMara. Nicht mein Budget. In meinem Magen rotierte der ungenießbare Kaffee und ich hätte mich am liebsten mitten in dieser vulgären Darbietung von Dekadenz übergeben, einfach nur, um Isabella in Verlegenheit zu bringen. Wütend zog ich einige Kleidungsstücke hervor, sah sie mir an, hing sie wieder zurück, steigerte mich immer mehr in einen giftigen Zorn hinein, während Isa und ihre über-schminkten Puppen-Freundinnen über etwas an der Kassentheke lachten.
„Ich hab etwas für dich“, sagte
Mario und stand auf. Interessiert sah ich ihm nach. Aus einem
Küchenschrank holte er einen Korb voller Croissants und
glänzender Milchbrötchen, grinste mich an, stellte ein irdenes,
glasiertes Töpfchen Butter dazu. Ich lachte.
„Oh Gott, du rettest mein Leben“,
sagte ich und griff nach dem Messer, das er mir reichte,
schnitt eines der Brötchen auf, roch daran und betrachtete die
Oberfläche, die wie frisch lackiert aussah. Ich hatte seit dem
Abend bei Anna nichts mehr gegessen und mein Körper hatte sich
nun fast an die gähnende Leere in seinem Bauch gewöhnt, doch
sobald der Duft des frischen Gebäcks in meine Nase stieg, zog
sich mein Magen schmerzvoll zusammen.
Mario lehnte sich zurück und
beobachtete mich beim Essen, nippte an seinem Kaffee, den er
aus einer Tasse trank; wir lächelten uns immerzu an. Mir gingen
derart viele Fragen und Dinge durch den Kopf, ich dachte an die
letzten zwei Tage, die wohl die ungewöhnlichsten meines
bisherigen Lebens waren. Mein altes Zuhause schien jetzt so
weit weg, dass ich nicht sicher war, ob es dieses Leben vorher
wirklich gegeben hatte. Marios Präsenz, das weiche Licht, das
in die Räume fiel, die leise Brandung irgendwo dort draußen,
das Frühstück, die Zikaden - das alles katapultierte mich in
eine derart fühlbare Gegenwart, dass alles, was bisher gewesen
war, wie ein Traum erschien.
„Wann bist du auf die Idee
gekommen, mich mitzunehmen?“, fragte ich.
Er hob überrascht die
Augenbrauen.
„Ich wurde bereits stutzig, als
du mir am Telefon gesagt hast, dass du Französisch lehrst“,
sagte er. „Es fühlte sich wie eine Eingebung an … ich dachte,
das kann doch kein Zufall sein.“ Er trank erneut einen Schluck
von seinem Kaffee. „Als ich dich dann an dem Abend der
Ladeneröffnung gesehen hab, in deinem heißen, engen Rock … es
war dein Blick … wie du mich angesehen hast. Da wusste ich,
dass ich dich mitnehmen will.“
„Mein Blick?“
Er lächelte, wie Männer es tun,
wenn sie nur die halbe Wahrheit erzählen.
„Und du? Wann hast du dich
entschieden?“, fragte er, statt mir zu antworten.
Ich schluckte einen großen Bissen
runter, spülte mit Kaffee nach.
„Ein paar Minuten nachdem du mich
vorgestern angerufen hast. Ich habe natürlich schon nach
unserem Treffen in dem Café darüber nachgedacht … ja, mich
eigentlich auch dafür entschieden. Ich dachte nur, dass das
alles länger dauern würde, dass wir zuvor noch miteinander
reden würden. Ich glaube, ich habe Phil ziemlich vor den Kopf
gestoßen.“ Ich lächelte zaghaft, rieb mir mit dem Daumen über
die Stirn, als er nichts sagte. Ich musste an Philipp denken,
der jetzt zu Hause saß und versuchte etwas Lesbares aus den
Scherben herauszubekommen, die ich ihm hinterlassen
hatte.
„Wie meinst du das?! Glaubst du,
ich hab das nicht gesehen? Das spielt keine Rolle, Nanni … ich
meine … natürlich spielt es eine Rolle, aber es stört mich
nicht. Ich mag sie, sie ist … so lieb.“
Ich wich ein Stück zurück, musste
mich gegen die gusseiserne Straßenlaterne lehnen, um nicht
umzukippen.
„So, und ich war nicht
lieb?!“
Sein Gesicht wirkte
überrascht.
„Was spielt das jetzt noch für
eine Rolle?! Du hast mich verlassen!“
Ich schloss für einen Moment die
Augen, versuchte meine Gefühle und wirren Gedanken beisammen zu
halten, schüttelte den Kopf.
„Phil, du musst damit aufhören,
so lange noch Zeit ist, so lange ihr euch noch nicht zu sehr da
reinsteigert. Es wird sonst für uns alle in einer unschönen
Katastrophe enden. Isabella wird Schwierigkeiten bekommen, sie
wird weinen und unglücklich sein, das kannst du doch nicht
wollen!“
„Natürlich will ich das nicht“,
sagte er, schob die Hände in die Hosentaschen und ging ein paar
Schritte vor mir auf und ab. Dann blieb er stehen und sah mich
an. „Ich weiß nicht, Nanni, eigentlich bin ich gekommen, um
dich mitzunehmen, dann erzählst du mir etwas, dass wir nur noch
Freunde sein können. Jetzt, wo ich womöglich die Chance auf
etwas Schönes habe, schießt du mir erneut vor den
Bug.“
„Aber Phil, es geht doch dabei um
Isabella!“
„Nein, Tanja, du denkst dabei
nicht an Isabella, sondern an dich selbst. Du hast Angst davor,
was dein Mario von alledem halten wird. Wie sieht es aus,
Nanni, ist deine neue Liebe stark genug, um die Feuerprobe
durchzustehen? Ist seine Liebe stark genug? Ja …“, er lachte
leise, „es scheint fast so, dass ich ironischerweise eure
Feuerprobe bin.“